Hallo Meg,
Meg hat geschrieben:
Fiorella Finchen: Ich möchte eigentlich auf zwei Sachen hinaus
1) nicht alles was "alt" ist, ist klassisch/gut
Ja, da bin ich ganz bei dir.
Ganz sicher gab es in allen Zeitaltern seit der Erfindung der Reiterei gute und schlechte Reiter. Aber das kann doch bitte auch niemand ernsthaft bestritten haben?
"Gut" und "schlecht" beziehe ich hier übrigens sowohl auf das Handwerklich-Reiterliche, also die technische Fertigkeit, als auch auf die geistig / ethische Komponente, wobei die Frage nach der Ethik natürlich auch jeweils im Spiegel ihrer Zeit zu sehen ist.
Damit will ich sagen: Es gab sicher immer schon Leute die es grundsätzlich gut mit ihren Pferden meinten, und sich im Rahmen ihres zeitlichen Kontextes um eine pferdegerechte Herangehensweise bemüht haben, und welche, für die das Wohlbefinden des "Pferdematerials" hinter dem wie auch immer gearteten Erfolg zurückzutreten hatte, und die für den Erfolg auch kurzfristigen Trends hinterher gerannt sind, um sich zu profilieren und sich, notfalls auch auf Kosten der Kreatur, Vorteile zu verschaffen.
Im Idealfall wurden Letztere im Laufe der weiteren Entwicklung der Menschheit über die Zeitalter (hoffentlich möglichst schnell) vergessen, und Erstere, wenn sie dann auch noch technisch gut waren, entwickelten sich zu Klassikern, die teilweise bis heute unvergessen sind.
Das heisst aber nicht zwingend, dass alle diese Leute heute und vor dem Hintergrund unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse und im Rahmen der Ethik und des Geschmacks unserer Zeit noch als perfekt oder wirklich vorbildlich gelten müssen.
Ferner ist der Begriff von Schönheit in der Bewegung auch eine Frage der Mode, und stets im historischen Rahmen und vor dem Hintergrund des naturwissenschaftlichen Erkenntnisstandes der jeweiligen Zeit zu sehen.
Nun taucht dieses Video auf und Fiorella, ich würde dir raten es dir ganz anzusehen, weil dann würdest du den Zusammenhang vielleicht besser verstehen. Reihenweise Pferde mit der Nase vor der Senkrechten, aber ist der Rücken dabei? Und dies waren Top Reiter!
Das habe ich inzwischen zumindest teilweise getan. Und ich muss meine Aussage ein wenig revidieren. Bei näherer Ansicht habe ich nämlich durchaus ein paar nette, logelassene Momente mit Rückentätigkeit erkennen können. Daneben natürlich auch ein paar echt grausliche Sequenzen. Scheint fast so zu sein wie heutzutage, es gibt solche und solche.......
Was allerdings nahezu durchgängig fehlt, ist der "Schwoing".
Aber: Heisst dass, dass mit der Reiterei dieser Zeit was falsch war.... oder kann es vielleicht auch sein, dass der Schwoing dann doch nicht so unverzichtbar ist, wie manche das zu glauben scheinen?
Vielleicht wäre das ja doch zumindest eine Überlegung wert? Es scheinen ja auch andere Reitweisen in der ganzen Welt gut ohne ihn auszukommen.
Und ja, das waren dann wohl die Top Reiter ihrer Zeit. Das mag uns aus heutiger Sicht gefallen oder nicht, aber damals wollte man dann wohl Dressur so sehen. Aber warum führt dich das jetzt dazu, denn Sinn des Reites VDS in Frage zu stellen?
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung ob es dem Pferd immer schadet, ein bischen (!) hinter der Senkrechten eingestellt zu werden. Ich bin kein Wissenschaftler, und stimme dir zu, wenn du sagst, dass das noch nicht erwiesen ist, und auch kaum beweisbar sein wird.
Aber das Postulat der Einstellung des Pferdes mit der Nase vor der Senkrechten und dem Genick oben ist bis heute wesentlicher Inhalt der Richtlinien für Reiten und Fahren, und ist auch in der HDV verankert.
Wenn ich mich also damit, d.h. mit der Klassik der Reitweise deutscher Tradition, identifiziere, sollte ich mich meines Erachtens auch damit auseinandersetzen, dass entweder an diesem Gebot etwas dran sein muss, und dann mag ich auch zumindest versuchen, es zu befolgen, oder ich halte diese Herangehensweise für veraltetet und das Postulat für überflüssig.
Dafür mag es gute Gründe geben. Ich persönlich würde dann allerdings anfangen, mir zu überlegen, ob ich mich mit der klassischen, also auf historischen Strukturen beruhenden, Ausprägung dieser Reitweise noch identifizieren kann. Das muss ja keiner.
Übrigens: In der Zeit als das von dir eingestellte Video entstanden ist, war auch Dr. Reiner Klimke, bereits sportlich aktiv und erfolgreich, allerdings damals noch in der Vielseitigkeit. Glaubst du, er hat seine Pferde zu diesem Zeitpunkt in der Dressur dem Grundsatz nach wesentlich anders vorgestellt als die Herren auf dem Video?
Diese Lösung:
Und bin halt zum Schluss bei Klimke und Co. gelandet, weil die für mich mittlerweile "klassische" Reiterei verkörpern. FÜR MICH!
Weil ich FÜR MICH Schlüsse in Bezug richtig gezogen habe (man könnte meinen aus Erfahrung

)
Scheint also ein wenig zu hinken.
Zudem klingt es ein bischen nach "weil ich nicht finde, dass Beethoven meinem Lebensgefühl Ausdruck geben konnte, habe ich für mich jetzt beschlossen, dass ACDC klassische Musik macht."
Ich glaube ja manchmal, es entsteht viel unnötiger Streit daraus, dass "klassisch" mit "gut" gleichgestellt wird, woraus auch noch der Umkehrschluss gezogen wird, dass nichtklassisch oder "nicht-in-allem-klassisch" dann auch nicht gut sein kann.
Darf man wirklich nicht sagen: Ich habe für mich in der reiterlichen Klassik nicht die vollkommen passende Lösung gefunden, und mag den modernen, sportlichen, Stil auf der Basis der Klassik, lieber?
Also für mich wäre das vollkommen legitim.
Aber ich schweife ab, ja, Reiten ist doch Geschmackssache, finde ich.
Vollkommen d' accord!
Meine Meinung:
Im Rahmen des tierschutzrechtlich Vertretbaren (!!) kann und darf jeder mit seinem Pferd machen, was dem persönlichen Geschmack und Willen entspricht.
Das gilt für den Leistungsreiter jeglicher Färbung ebenso wie für den, der sich ein Pony zum Spazieren gehen hält.
Und auch für den, der einem historischen Vorbild nacheifert, weil er sich aus ganz persönlichen geschmacklichen Gründen dazu hingezogen fühlt, oder dem, dem die moderne sportliche Optik gefällt.
Die Frage nach besser oder schlechter, oder richtig oder falsch kann doch nur zu einem sinnvollen Ergebnis führen, wenn sie auf der Basis vergleichbaren Handelns und vergleichbarer Zielsetzung gestellt wird.
Also für mich ganz persönlich jedenfalls.
Puh, sorry für den Roman.
Schönes Wochenende,
Gruss,
Fio