Hier einige Gedanken, die mir beim Lesen kamen.
Ganz allgemein, wenn man philosophieren will, muss man halbwegs definieren, worüber man philosophiert, bzw. was man mit einem Begriff meint.
Sitara hat geschrieben:Man sagt ja, dein Pferd ist der Spiegel deiner Seele, bzw. Pferde sind unsere Lehrmeister.
Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, daß man sich bei der Jungpferdeausbildung (und generell im Umgang mit Pferden), Respekt und Vertrauen erst mit wachsender eigener Lebenserfahrung und Reife erwirbt.
(...)
Also beispielsweise "Respekt" und "Vertrauen" sind schon allein auf Menschen bezogen komplizierte Begriffe, da müsste man z.B. mal definieren, ob man damit beim Pferd einfach ein bestimmtes Verhalten bezeichnet (läuft meist auf "Pferd verhält sich so, wie Mensch sich das wünscht" hinaus), es sich also sozusagen um eine reitersprachliche Konvention handelt, oder ob man annimmt, dass das Pferd entsprechend einem Menschen "Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung" gegenüber seinem Reiter empfindet und von dessen "Redlichkeit überzeugt" ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Respekt
https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauen
Noch zur Erfahrung: Lebenserfahrung ebenso wie langjährige Erfahrung mit Pferden erweitert unser Repertoire an möglichen Verhaltensweisen etwa jungen Pferden gegenüber, wir können auch besser wahrnehmen, was im Pferd vorgeht und daher besser auf sein Verhalten reagieren. Zumindest sollte es so sein, ich habe durchaus schon Reiter beobachtet, die gewissermassen auf einem bestimmten Niveau steckengeblieben sind, und immer wieder die selben Fehler wiederholen.
Sitara hat geschrieben:Ich glaube, daß das Pferd dir erst dann folgt, wenn Du dir selbst vertraust. Es merkt ja auch schnell, wenn Du Angst hast, unsicher bist. Leuchtet mir ein und habe ich bei meiner jungen Stute gemerkt: Vermittle ihr, daß sie das kann (z.b. Ihren Fluchtinstinkt überwinden und an gruseligen Dingen vorbeigehen) und sie wird es (früher oder später) auch tun. Lobe sie dafür und Du merkst, daß sie daran wächst und Selbstvertrauen gewinnt.
Ein Verhaltensforscher würde hier nüchterner von Gewöhnung, Desensibilisierung, positiver Verstärkung und dergleichen sprechen.
Sitara hat geschrieben:Bedeutet doch im Umkehrschluß, daß gute, einfühlsame Reiter / Ausbilder tendenziell eine gar nicht mal so geringe Sozialkompetenz haben müßten, oder? Was die Frage aufwirft: Kann ein nicht (oder wenig) einfühlsamer Reiter auch ein guter Reiter sein? Müßten dann nicht auch gute Reiter gleichzeitig auch gute Menschen sein? (Jetzt wird's philosophisch

)
Also ich versuche jetzt nicht, allgemein zu definieren, was ein "guter, einfühlsamer Reiter" ist, da würden wir uns in diesem Forum wahrscheinlich nie einig. Objektiv liesse sich vielleicht sagen, in einem bestimmten sozialen und kulturellen Kontext gilt ein Reiter dann als "gut", wenn er reiterlich bestimmte Kriterien erfüllt, die in diesem Kontext geschätzt werden, also je nach Ort und Zeit, kann der "gute" Reiter ein Buzkashi spielen, vom galoppierenden Pferd aus mit Pfeil und Bogen schiessen, auf einem Viereck rumreiten und dabei gewisse formelle Kriterien einhalten, sich längere Zeit auf einem bockenden Pferd halten, einem Stier vor der Nase rumhüpfen etc.
Ich habe jetzt mal die Eigenschaft "einfühlsam" weggelassen, weil ich dem Begriff etwas zwiespältig gegenüberstehe. Wo sich jemand aus seiner grossen Erfahrung ins Pferd "einfühlen" kann, weil er schnell und sicher wahrnimmt, was im Pferd abgeht, sehe ich die "Einfühlung" positiv eben als umfassende Form der Wahrnehmung. Wo aber die "Einfühlung" anfängt ins Sentimentale zu rutschen, stört sie eher. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass jemand, der ein Pferd ganz nüchtern als Objekt betrachtet, das er auf eine bestimmte Weise manipulieren muss, damit es sich wie gewünscht verhält, durchaus gut reiten kann, wenn genug Wissen und Erfahrung da ist (das wäre vergleichbar mit dem Umgang eines Seglers mit seinem Schiff).
Nun zur Sozialkompetenz: Dies ist leider ein ziemlich schwammiger Modebegriff:
https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Kompetenz
http://www.staufenbiel.ch/bewerbung-kar ... piele.html
Zudem ist die Sozialkompetenz inhaltlich leer, sie bezieht sich auf das Wie des Zusammenwirkens, sagt aber überhaupt nichts aus zum Was. So können etwa Biologen und Chemiker sozialkompetent gemeinsam ein Heilmittel gegen eine Krankheit entwickeln oder einen Kampfstoff für den nächsten Weltkrieg ...
Mal abgesehen davon, bedeutet ein gekonnter Umgang mit Tieren nicht zwingend eine grosse Sozialkompetenz gegenüber anderen Menschen, da unter Menschen bestimmte Faktoren eine Rolle spielen, die bei Tieren fehlen (kulturelle Regeln, Doppeldeutigkeit/Widersprüchlichkeit von verbalen Aussagen und nonverbalen Zeichen, Hintergedanken). Es ist durchaus möglich, dass jemand mit Tieren sehr gut umgehen kann, weil er deren Körpersprache gut versteht, und seine eigene geschickt einsetzt, gegenüber Menschen aber verunsichert ist, weil diese weniger eindeutig sind.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Pferd ist zudem notgedrungen asymmetrisch (auch wenn es heute Mode ist, da von Partnerschaft zu sprechen), während es unter Menschen auch symmetrische Verhältnisse geben kann. Interessanterweise wird das Thema
Macht im Zusammenhang mit Pferden höchst selten angesprochen, obwohl es ein wichtiges Thema wäre.
Ob ein guter Reiter auch ein guter Mensch ist? Kann, muss nicht. Historisch gesehen waren sehr viele Reiter als Krieger unterwegs, und taten als solche Dinge, die man kaum als "gut" bezeichnen würde. So galten die Mongolen (schon als Kinder mit Pferden vertraut ...), die den islamischen Raum überrannten und bis nach Europa kamen, als grausame Krieger, aber reiten konnten die zweifellos. Und falls jetzt jemand einen Unterschied zwischen der Steppenreiterei und dem klassischen Reiten in deutscher Manier machen will, auch da finden sich ein paar ganz nette Menschen, die die Reitkunst pflegten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reiter-SS
http://netzwerk.hypotheses.org/1158