Ich habe lange gezögert, ob ich den Kurs in Hamburg kommentieren soll oder nicht...
Die Kurzzusammenfassung: Ich habe dort nichts gesehen, das ich nicht in anderen Kursen dutzendfach schon gesehen hätte. Nur selten sah ich solche Erfolge in so kurzer Zeit.
Beim Lesen der Beiträge hier kam mir ein Gedanke: warum reitet man einen Lehrgang? Was erwarte ich mir davon, wenn ich bereit bin so viel Geld (im relativen Vergleich zu normalen Reitstunden) auszugeben? Natürlich erwartet man sich eine deutliche Verbesserung von bislang nicht gelösten individuellen Problemen bzw. der Grundrittigkeit. Gerne nimmt man auch neue Denk- und Trainingsansätze mit. Den Unterschied macht ist die Intensität mit der man daran arbeitet – und ich habe JP als „sehr intensiv“ wahrgenommen. Das ist wahrlich nicht jedermanns Geschmack.
In Hamburg hat er von Anfang an klar gestellt, dass er an diesem einen Tag einen Einblick in seine gesamte Arbeit gibt und daher gewisse Themen nur bei Pferd x demonstriert, auch wenn diese bei Pferd y ebenfalls zutreffen würden. Es ging ihm darum ein Gesamtkonzept zu vermitteln – nicht zwingend nur um individuell wahrgenommene Einzelproblemlösung. JP habe ich als einen Ausbilder kennen gelernt, der einen Reiter aus der eigenen Komfortzone erstmal rauswirft und diese auch noch komplett in Frage stellt. Kritik ist nie angenehm, aber wenn sein scharfes Auge & seine spitze Zunge zum Einsatz kommen - da wackeln schon mal Grundsätze der bisherigen Reitphilosophie. Er hat eine absolut polarisierende Persönlichkeit, sehr dominant und provozierend. Dabei auch sehr warmherzig und humorvoll. Ein echtes Unikat.
Die einzelnen Pferde und deren Reiter hatte er binnen weniger Minuten messerscharf analysiert und verständlich dem Publikum erklärt, an welchen Punkten er nun ansetzt. Noch nie habe ich einen Lehrgang erlebt, bei dem Publikum, Reiter und Ausbilder in solcher Interaktion standen. Man hatte das Gefühl „mit dabei“ zu sein und nicht nur von außen zuzuschauen. Hoch interessant war seine Thesen rund um das Vorderbein und dessen Widerstände. Bei den zwei Pferden, an denen er es demonstrierte, konnte man eine deutliche Verbesserung sehen, nach dem er diese „getapped“ hatte. Beide Pferde zeigten eine schöne Piaffe. Dabei waren die Grundproblematiken beider Schimmel völlig konträr: Lescues Schimmel kam vor dem Lehrgang nicht schnell genug mit den Vorderbeinen mit, während der andere Schimmel zuvor hektisch die Beine schmiss und seine Piaffe eher an „Angst auf der Stelle“ erinnerte. Das war einfach beeindruckend.
Seine Ausführungen zum Sitz waren ebenfalls einleuchtend von ihm erklärt. Ich fand es bewundernswert, dass er sich bei fast jedem Pferd in den Sattel schwang und demonstrierte was er erklären wollte. Wie schon angemerkt, ist er nicht mehr der Gelenkigste. Aber wenn ritt, liefen die Pferde einfach gut. Ich fand es beachtlich, wie er die unterschiedlichsten Pferdetypen einfach mit wenigen Minuten im Sattel über den Rücken gehen lassen konnte. Auch die Halslänge zentimetergenau vorgeben konnte. Den Reitern, die seine Anweisungen nicht sofort umsetzen konnten, half er mit vielerlei Beispielen und Demonstrationen. Das fand auch nicht jeder Reiter akzeptabel, denn ein Pferd kurzfristig zu überstellen ist nicht bei jedem ein probates Mittel. Die Pferde gingen für mich als Außenstehende objektiv „besser“ als vorher. Und das konstant. Da gab es kein Anlehnungsgefummel mehr, wie man es dauernd in deutschen Reithallen sieht.
Auch dass sein Ansatz „mit Pferden im Imperativ sprechen“ nicht zwingend kompatibel mit unserer Grundeinstellung das Pferd als Lebenspartner ist. Es gab viele Momente, wo ich dachte: „ein bisschen weniger ruppig hätte es jetzt auch getan“. Da ist er aber wahrlich nicht der einzige Ausbilder, bei dem ich mir das denke. Keins der Pferde hatte aber Angst vor ihm, nur Respekt. Wie Lescue schon sagte: ihr Schimmel war sehr angetan von diesem Boss-Typen in der Hallenmitte. Am interessantesten fand ich, dass dieses Pferd sich morgens in seiner Gastbox total aufgeführt hatte. Nachmittags nach der ersten Lehrgangseinheit war er total entspannt in der selben Box. Nix mehr mit randalieren …
Ich bleibe dabei: jeder muss selbst für sich entscheiden, was er von einem Lehrgang erwartet und was er dafür bereit ist in Kauf zu nehmen. Bei ihm prallen schon mal Welten aufeinander: deutsche Grundmentalität (ergebnisorientiert, gradlinig, erst-mal-nein-sagen) auf portugiesisch/amerikanische Attribute (entspannte Lockerheit, Entertainment & Anektdötchen, alles-nicht-so-tragisch). Das viele sich an seiner Persönlichkeit gestört haben, kann ich gut verstehen. Ebenso wäre es utopisch zu erwarten, eine echte Diskussion mit ihm zu führen können. Das Machtgefälle war schon deutlich und er ging auf Kommentare sehr selektiv ein. Ich habe zum Beispiel einen unvorsichtigen Kommentar bzgl. Lerntheorie gemacht, den er meines Erachtens bewusst missverstanden hat. Aber er wollte so dringend seine Thesen zur Rollkur loswerden

Ich seh‘ das mit Humor. Hab auch mehr über Lusitano-Anpaarungen (niemals Altea mit Veiga!) gelernt, als ich je darüber wissen wollte. Wer weiss man man es braucht?
Die größte Stärke ist bei fast allen Menschen nur eine Gratwanderung von der größten Schwäche entfernt: und bei ihm ist es sein Beobachtungs- & Kommunikationstalent: manchmal öffnet er einem die Augen und man staunt Bauklötze, weil plötzlich Knoten im Kopf platzen. Und dann gleitet er in Dinge ab, die man besser auch in einer Pause diskutieren könnte. Aber das ist der Preis, den man zahlt. Neben dem Geld
Zur mir: Schreibtischtäter. Werde beruflich für kritisches Analysieren bezahlt. Privat habe ich ein Faible für deutsche Warmblüter im Schlachtschiffformat. Bekennende FN-Allrounderin: Dressur, Springen, Vielseitigkeit.
Die Organisatorin & deren Pferde kenne ich schon länger privat. Die Freundin der Organisatorin habe ich schon in einem anderen Kurs reiten sehen. Ebenso eine andere Mitreiterin.