So,
jetzt hab ich mir die DVD auch mal in voller Länge erarbeitet.
Hier meine Meinung dazu:
Großes Lob an die Macher dieser DVD, die mit 130 min. wirklich sehr umfangreich und spannend ist. So spannend, dass man sich noch mehr gewünscht hätte, bspw. beide Fremdpaare noch mal mit dem anderen Ausbilder.
Respekt an Herrn Hess, dass er sich dem Streit stellt, noch mehr Respekt an Herrn Karl, dass er diesen Streit aufgenommen hat. Respekt auch an die Streitkultur.
Zum Streitgespräch:
Im Grunde wird hier schon deutlich, dass beide „Lager“ zwei verschiedene Ziele anstreben.
Herr Hess sieht die Dressur einzig als Turniersport an, und legt dann hier seine Messlatte an. Dressur ohne Turniersport ist zwar gut gemeint und lieb und nett, wird aber etwas arrogant belächelt, so scheint mir ist die Haltung von Herrn Hess.
Herr Karl will die Dressur für JEDES Pferd, um seine Fähigkeiten unter dem Sattel so weit es diesem individuellen Pferd möglich ist zu entwickeln. Turniererfolg interessiert ihn nicht.
Herr Karl nennt m.E. die wesentlichen Kritikpunkte:
-Herrn Hess Arbeit funktioniert nur bei ohnehin schon tadellosen Pferden
-Die FN-Skala ist eher eine Hilfe um Ausbildung zu bewerten, nicht aber um Ausbildung konkret durchzuführen, oder zumindest dann von den Definitionen der Begriffe abhängig, die anscheinend keiner wirklich einheitlich präzisieren kann.
-Herr Hess räumt ja auch ein, dass es der FN bisher nicht gelungen ist, die Punkte der Skala so definitiv zu beschreiben, dass ein jeder sie gleich verstehen kann .
-Herrn Karls Arbeit bezieht auch aktiv den Lernprozess im Hirn des Pferdes mit ein, während Herrn Hess Arbeit eher nur auf Muskel, Bänder, Sehnen abzielt.
Natürlich stellt sich Herr Hess auch deutlich gg. die Rollkurauswüchse, und sieht hier auch keinen Anhaltspunkt, diese dem FN-System anzulasten. In seiner Unterrichtseinheit später jedoch, sieht er jedoch auch kein Problem darin, dass das Pferd in der Arbeit zu eng eingestellt wird (wenn auch nur leicht), nein er hält dies sogar für richtig und wichtig, weil es so rund ist und „über den Rücken“ geht.
Zu den Unterrichtseinheiten:
1. Herr Hess mit seiner Schülerin auf S-Niveau:
Sehr korrektes qualitätsvolles Pferd mit guter natürlicher Balance. Das Reiten ist keineswegs schlecht anzuschauen, die Reiterin reitet sehr gefühlvoll und harmonisch.
Sie wechselt des öfteren vom kurzen Zügel in Versammlung zum längeren Zügel zum v/a. Lobenswert.
Beim Reiten in Versammlung sehe ich aber keine echte Versammlung. Lediglich der Hals wird verkürzt. Hierbei kommt das Pferd leicht hinter die Senkrechte, das Genick ist nicht der höchste Punkt. Das Maul des Pferd ist völlig regungslos, vermutlich sind auch die Nasenriemen zu eng, jedenfalls hat Herr Hess nicht die Lockerheit derselben zuvor demonstriert. Hätte er machen sollen, um hier Kritikern wie mir den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das Pferd schnippt schon rythmisch mit der Unterlippe,m.E. der Beginn eines Maulfehler. Herr Herr erwähnt zwar ständig die hervorragende Anlehnung und das gewünschte Abstossen am Gebiss, nur woran erkennt er es/sie ???
Erst in den Momenten in denen die Reiterin überstreicht, kommt das Pferd in den schönen Halsrahmen, den man sich auch in der Versammlung wünscht.
Der Schritt wird nicht geritten, außer am hingegebenen Zügel in den Pausen. Lt. Herrn Hess entwickelt sich der Schritt erst, wenn die anderen Gangarten korrekt gearbeitet sind und aktive Arbeit im Schritt wäre für ihn nahezu undenkbar. Dennoch: dies Pferd ist doch schon lange korrekt in seinem Sinne gearbeitet – warum dennoch keinen Schritt ??
Die Bewegungen des Pferdes leben nur von seiner nat. Begabung und sind sehr ansehnlich. Einen hinein gerittenen „Schwung“ also Impuls und Energie in der Losgelassenheit sehe ich hier jedoch nicht.
2. Herr Karl mit seiner Schülerin auf Moses:
Pferd mir sehr schwierigem Exterieur und schlechter natürlicher Balance. Starker, kurzer Hals, schweres Genick mit wenig Ganaschenfreiheit, kurzer Rücken, steife Hinterhand. „Anlehnung“ wird hier gem. Herrn Karls Philosophie (Legerete) als Wechselspiel zw. Handaktion und Abkauen des Pferdes gezeigt. Hals wird wenn nötig mit der Hand aufgerichtet (demi-arrets) um die Gewichtsverteilung zu beeinflussen, und damit das Gewichts von den Schultern zu nehmen. Das Pferd zeigt ebenfalls alle Lektionen, wie auch das Pferd bei Herrn Hess. Traversalen, fl. Wechsel (auch in Serie zu 3 oder 4 Sprüngen) , Piaffe, Passage. Meine Hochachtung !
Natürlich verfügt das Pferd mit seinen Gängen nicht über die hohe Grundqualität wie das Pferd bei Herrn Hess und alle Übungen fallen ihm sichtlich schwerer, als dem Warmblüter. Umso höher ist m.E. der Ausbildungserfolg zu bewerten.
Auch dies Pferd wird zw. Aufrichtung und v/a gewechselt. Es wird zu Anfang auch im Schritt gearbeitet.
Außerdem zeigt es dazu noch einen wirklich guten Sprung mit toller Bascule. Hierzu entlarvt Herr Hess m.E. seinen eingeschränkten Turniersport-Denkhorizont. Er erwähnt, er würde dies Pferd mehr als Springpferd nutzen wollen, weil es seiner Begabung mehr entspricht. Er übersieht aber dabei, dass es nur dann und deshalb ein solches Springen zeigen kann, weil es die gezeigte Dressurarbeit in ein Gleichgewicht gebracht hat, was für so ein Springen notwendig ist.
Herr Hess kritisiert, dass Pferd sei nicht einmal durchs Genick gewesen und sah nicht rund aus. Dem kann ich nicht zustimmen, weil es durchaus Momente gab, wo es dies war. Aber es gab auch Momente, wo es tatsächlich über dem Gebiss war und wenig gewschlossen. Ich würde mir das Pferd insgesamt auch „runder“ wünschen. Dazu müsste er sich auch mehr und beständiger beizäumen. Hier jedoch muss man bedenken, dass dies Pferd wenig Ganaschenfreiheit besitzt und die Beizäumung nicht den Grad erreichen kann, wie bei einem besser gebauten Pferd. Diesen Zusammenhang übersieht Herr Hess. Der Versuch dies Pferd mit der Hand jetzt beizuzäumen würde zu katastrophalen Ergebnissen führen, das Pferd würde wieder anfangen zu ziehen und sich auf die Schultern werfen. Dennoch denke ich, dass man hier noch verbessern kann, wenn das Pferd in der Hinterhand geschmeidiger wird. Die Piaffe ist hierfür eine nutzvolle Übung, ebenso Seitengänge. Auch den Zusammenhang erkennt Herr Hess nicht und belächelt die Piaffenarbeit als Zirkusspielerei, da, so seine Kritik, aus dem Rückwärtsrichten entwickelt und nicht aus dem Trab.
Dadurch, dass Herr Karl ziemlich viele Übungen in schnellem Wechsel und m.E. etwas durcheinander verlangt, hat es m.E. leider wirklich manchmal den Anschein die Übung um des Showeffektes zu zeigen, was Wasser auf die Mühlen von Herrn Hess ist. Weniger wäre hier mehr gewesen, und Herr Karl hätte die Chance noch besser nutzen können, die Notwendigkeit und den Sinn der jeweiligen Übungenfür die Ausbildung zu dem jeweiligen Zeitpunkt kurz zu begründen.
3. Die Reitstunde von Herrn Hess mit fremdem Paar:
Pferd ist tot im Maul, steif, schief und hebt sich ständig raus. Es trägt nicht mit den Hinterbeinen. Die Bewegung der Hinter- und der Vorderbeine passen nicht zusammen. Die noch unerfahrene, zaghafte Reiterin weiß überhaupt nicht was sie dagegen tun kann.
Hier konnte ich keinen Sinn und keinen Fortschritt in Herrn hess Arbeit entdecken. Herrn Hess Arbeit ist nett aber völlig uneffektiv.
Und in der Tat verwechselt der 1000fache GP-Richter Herr Hess einen Hahnentritt mit einem aktivem Hinterbein. Der Bewegungsablauf von Hinter- und Vorderbein passten nämlich überhaupt nicht zusammen.
4. Die Reitstunde von Herrn Karl mit fremden Paar:
Pferd lief zuvor auf der Vorhand, schob stark nach hinten heraus , war schwer in der Hand und knirschte schon mit den Zähnen. Aufgrund der starken Anlehnung und des verspannten Mauls hatte es schon Taktfehler, war kurz vor der Zügellahmheit.
In wenigen Minuten und mit gezielten Übungen konnte Herr Karl in Abkauübungen und danach selbst im Sattel hier sehr viel verbessern. Das knirschen mit den Zähnen verschwand, das Maul lockerte sich sichtlich und hörbar, das Pferd kam auch im Trab zusehens in eine bessere Balance, die Taktfehler waren weg.
Herr Karl hat also hier im Grunde genau gem. der Ausbildungsskala gearbeitet und sich dem ersten beiden Punkten Takt und Losgelassenheit gewidmet. Leider hat er versäumt, dem Herrn Hess dies aufs Butterbrot zu schmieren, bzw. aufzuzeigen, dass die Skala zwar sinnvolle Ziele beschreibt, diese aber auf vielen Wegen erreicht werden können, wozu auch der Weg des Herrn Karl gehört. Jedoch hat Herr Hess den Erfolg von Herrn Karls Arbeit auch selbst erkannt und zeigte Anerkennung. Respekt dafür, faire Geste.
Auch die Reiterin konnte später diese Dinge schon ganz gut umsetzen und war sichtlich begeistert.
Ich fürchte jedoch, dass trotz des Erfolges, Herr Hess nicht zum nachdenken oder gar umdenken zu bewegen ist, da er schon viel zu starr in seinem Glaubenskonzept verhaftet ist .
Zusammenfassend:
Was an Herrn Hess Arbeit „klassisch“ sein soll, hat er nicht dar gelegt. Er nahm nicht einmal einen direkten Bezug auf einen klass. Meister. Außer vielleicht, dass man alles im „Vorwärts“ erarbeiten soll, und er hiermit auf den Satz von Steinbrecht anspielt. Dann jedoch hat er Steinbrecht auch nicht verstanden, denn Herr Karl tut nichts gegenteiliges, jedenfalls nicht etwa, wenn er das Pferd im Halten im Maul bearbeitet.
Herr Hess redet immerzu von dem wie es aussehen soll, alles d´accord, aber im konkret Fall kommt da nicht hin.
Herr Karl dagegen begründet seine Handlungsweise mit den Texten von la Gueriniere und stellt hier eine Verknüfung zu den klass. Lehren her.
Herr Hess kommt einigermaßen arrogant und selbstgefällig daher. Er erzählt voll Stolz, dass er 1000 Pferde und mehr in GP-Prüfungen gesehen und bewertet hat. Umso schlimmer wiegt die Tatsache, dass er offensichtliche Maulfehler und mangelnde Balance nicht erkennt. Er redet sich die Reiterei an den sichtbaren Tatsachen vorbei schön, ist dabei weit entfernt von jeglichen Klassikern und ich fürchte bei „normalen“ Pferden mit dem einen oder anderen Gebäudeproblem ist er mit seinem Ausbilderlatein sehr schnell am Ende.
Herr Karl übertreibt es m.E. bei seiner Demonstration mit Moses leider ein wenig mit der Vielzahl der Übungen und spielt somit Herrn Hess mit seiner Zirkuskritik ein wenig in die Hand. ich schätze, da ist das Temp. mit Herrn Karl etwas duchgegangen.
Leider wurde die alles entscheidende Frage nicht gestellt und nicht diskutiert:
Warum soll das Genick der höchste Punkt sein? Nur zur Zierde in der Prüfung? Wie kommt Herr Hess in seiner Ausbildung dahin. Er sagt, die Profis wüssten dann schon, wie sie die Pferde kurz vor der Prüfung "hoch holen". Ja wie denn? Etwa mit demi-arrets

?
Und warum gibt es die Forderung vom Genick als höchsten Punkt überhaupt, wenn Herr Hess die Arbeit darin ablehnt. Wenn sie also eher unförderlich für die Ausbildung ist, warum wird sie dann nicht abgeschafft? Wird in der Prüfung also etwas verlangt, was eigentlich der Gesundheit und der Aubildung der Pferde gar nicht zuträglich ist ???
Dieser Punkt und die Frage nach der korrekten Anlehnung (bei echtem lockerem Nasenrimen), also mit sicht- und hörbarer Maultätigkeit oder ohne, das sind mir die entscheidenden Unterschiede und Fragen, die die Lager derzeit noch ziemlich weit trennen. Hier wünsche ich mir weitere Diskussionen und Demonstrationen.
ALLES auf der DVD gibt ohne dass es beabsichtigt wäre, einen guten Querschnitt von der derzeitigen Situation der Reiterei in Deutschland wieder, so wie ich sie auch täglich im ländlichen Verein erlebe:
Junge Reiter die nur noch nach Turnierfolg streben.
Ausbilder, die das gut veranlagte Pferd weiter bewegen können, aber kaum mehr.
Ergo spielt die natürliche (erkaufbare) Grundqualität die wichtigste Rolle.
Rund und tief als Lehrmethode, weil sooooo wichtig für den Rücken.
Genick als höchster Punkt, nur in der Prüfung, weil es da halt so verlangt wird – keiner weiß genau warum überhaupt.
Für Reiter mit einfachen Pferden und ohne Turnierambition aber dafür mit viel Herzblut und eigenem Verstand gibt es kaum noch Lösungen. Nicht umsonst ist ja die Reiterin von Moses an Herrn Karl geraten. Zuvor wird sie es wahrscheinlich bei etlichen dt. Ausbildern vergeblich versucht haben.
Richter, die fehlende Maultätigkeit nicht mehr sehen, dafür irgendwas von Abstossen am Gebiss daher reden, wovon keiner so wirklich weiß, wie das genau auszusehen hat.
Gruss