Jen hat geschrieben:Ich sehe aber ein Bewegungsmuster, das vorwiegend Schub statt Tragkraft hat, als Falsch an, weil daraus verschiedentlich gesundheitliche Probleme entstehen. Offenbar sehen aber hier einige, dieses Bewegungsmuster nicht als falsch an..
Doch, das wäre falsch! Jedenfalls, wenn es denn so wäre, dass irgendjemand zu viel Schub oder gar nur Schub verlangen würde. Das macht aber doch hoffentlich keiner
Ich habe scheinbar einfach andere Erfahrungungen gemacht als Du.
Diejenigen die ihr Pferd ständig über Tempo laufen lassen, die haben sich einfach noch nie ne Platte gemacht, was Pferdeausbildung betrifft. Die machen das also nicht, weil sie mal gehört haben, dass man Schubkraft vor Tragkraft ausbilden sollte. Die haben gar keine Theorie
Alle anderen würden immer versuchen ihren Aufbau so ausgewogenen wie möglich zu gestalten.
Jen hat geschrieben:und auch schadet es dem Pferd nicht, wenn es schieben und tragen kann.
es kann sehr wohl schaden. Es ist kein Zufall, dass heutzutage Rückenprobleme das Gesundheitsproblem nr 1 der Reitpferde ist...
Das liegt ganz gewiss nicht daran, dass ein Pferd
beides kann!!!!
Jen hat geschrieben:... wenn ich mich in der GEgend so umschaue und sehe wie an den meisten Orten geritten wird, sehe wie die Pferde bemuskelt sind und wie sie sich bewegen, kommen mir einfach Zweifel ob das gängige System sich in die richtige Richtung entwickelt (und damit ist jetzt nicht Rollkur etc. gemeint).
Ich würde mich eher fragen, wie viele sich denn tatsächlich die Mühe machen, für die Reiterei und/oder die Pferdeausbildung die Nase in die Theorie zu stecken und sich da auch durchbeißen. Für sehr viele ist es ja schon supi, wenn sie auch nur Unterricht nehmen. Das muß dann als Theorie reichen.
Für die Diskussion hier, wäre es aber hilfreich, wenn alle Beteiligten davon ausgehen würden, dass alle, die hier mitlesen oder sich an der Diskussion beteiligen durchaus schonmal das eine oder anderee Buch in der Richtung in der Hand hatten und dass sich alle mindestens bemühen, auch zu verstehen, was sie lesen.
Jen hat geschrieben:...
Mein Ziel mit diesem Thread ist GEdankenaustausch und sich wieder einmal richtig hinterfragen, was denn diese Begriffe, die wir tagtäglich benutzen im praktischen Sinne bedeuten und was sie auch für Konsequenzen in unserem praktischen Tun haben. Also nicht nur graue Theorie! Sondern down-to-earth Themen.

Schön wäre es dann aber, wenn wir uns zukünftig ALLE austauschen würden und nicht nur einfach gegeneinander reden würden
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Und nun wieder zum Thema
(vorsicht lang und auch mit Wiederholungen)
Ich hoffe, dass wir uns mit diesem Beitrag ein wenig annähern und ab hier wieder etwas entspannter weiter zusammen grübeln
Das ist nur eine bzw. meine persönliche Sicht der Dinge. Ich erhebe keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Allgemeingültigkeit.
Ich wiederhole nochmal, dass man durchaus zuerst vermehrt die Tragkraft fördern kann.
Und da das hier so ewig lang ist, bitte ich Euch außerdem um Nachsicht für diverse Tippfehler, merkwürdige Kommasetzung und eventuell nicht blitzsauber formulierte Dinge.
Jen hat geschrieben:Sinsa hat geschrieben:Jen hat geschrieben:
Die Preisfrage ist: WIE bekommst du das Pferd dazu in der Stützphase die Gelenke zu beugen?
Einfach in dem ich mehr vorwärts schicke.
Ich mein... das ist doch nicht logisch! Du willst das eine erreichen und machst das Gegenteil davon...?
Naja, manchmal muß man kleine "Umwege" gehen.
Wenn ich von einem ungerittenen Jungpferd ausgehe, dann wird sich dieses Pferd schon "an seinen Köper gewöhnt" haben. Das heißt, es kann sich selber tragen und "weiß" wo sein Schwerpunkt ist. Es weiß also ziemlich genau, wohin es die Hinterbeine setzen muß, um pferdegerecht in seinem eigenen Schwerpunkt bzw. seinem eigenen Gleichgewicht zu sein und der gesamte Körper hat sich an die dafür nötigen Bewegungsabläufe "gewöhnt".
Es zeichnet sich nun durch die -so oft als "unverbraucht" betitelte- Gangmechanik aus, die der Mensch so gerne auch unter dem Reiter erhalten will. Dazu muß ich aber dem Pferd irgendwie beibringen, dass es zukünftig lernen muß, mit den Hinterbeinen etwas mehr in Richtung Schwerpunkt zu fußen. Denn es soll ja nun zusätzlich noch den Reiter tragen. Um aber weiter untertreten zu können, muß ich erstmal die vorhandenen Muskeln, Sehnen und Bänder darauf vorbereiten zukünftig ein wenig mehr, als eigentlich nötig, zu arbeiten. Diese Arbeit verlangt zwei Dinge: einmal die Kraft zu tragen und zum anderen muß ich die Sehnen, Bänder und Muskeln
ein wenig!! dehnen. Wie aber dehne ich ein Pferd?
Diese Dehnung erreiche ich z.B. dadurch, dass ich die Größe des Beinpendels erhöhe. Wobei wir mal wieder beim Schub sind
Jen hat geschrieben:Indem du nur das einfache trainierst, kommst du nicht zum schweren.
Da stimme ich Dir zu. Ich habe aber geschrieben:
Sinsa hat geschrieben:Man arbeitet vom Einfachen zum Schweren;-)
Das Einfache:
Ich kann mit dem Jungpferd geradeaus und auf großen Linien/Bögen arbeiten. Dabei wärme ich auf und überfordere ganz sicher nicht. Ist das Pferd aufgewärmt, kann ich den Schub dazu nehmen.
Das heißt ich erhöhe
leicht das Tempo, was bewirken wird, dass sich das Beinpendel vergrößert, was auch bedeutet, dass ich alles ein wenig dehne.
Das Schwere:
Als nächstes werde ich in Richtung kleinerer Bögen arbeiten. Dabei nicht an kleine Volten, sondern an einen leicht verkleinerten Zirkel denken. Nun habe ich meine erste Einheit Tragkraft schon mit in den Aufbau des Pferdes dazu genommen. Die aufgewärmten und -wirklich nur leicht gedehnten
Muskeln, Sehnen und Bänder- sind bereit dafür Kraft zu trainieren.
DAS ist unbedingt zu beachten!!!
Nur dann kann man Kraft trainieren und Tragkrafttraining ist ein Kraftsport! Beachtet man das nicht, kann das zu schweren Schäden führen.
****und ich betone an dieser Stelle, dass ich niemals und zu keiner Zeit unterstellen möchte, dass jemand, der vermehrt erst die Tragkraft aufbauen möchte soetwas ohne Vorbereitung tun würde!!!*****
Nun kann man sich fragen, warum dass schon Tragkraft ist und warum ich das von mir beschriebene Vorgehen am Anfang schon als Schub an erster Stelle bewerte.
Wenn ich mir ein Pferd auf der Weide betrachte. Dann wird es die meiste Zeit mit fressen beschäftigt sein. Das heißt, das Pferd bewegt sich mit kleinen/kurzen Schritten kreuz und quer von Grasbüschel zu Grasbüschel.
Hin und wieder wird es sich ablegen oder irgendwo rumdösen. Die Spiel- und Rennphasen sind die einzigsten kurzen Momenten, in denen das Pferd mal seine volle Bewegungsfähigkeit nutzt/trainiert. Zügiges Laufen am Stück wird man nicht sehen. Wie auch - die Wandern wohl kaum ohne Not immer rund um die Weide, um sich fit zu halten
Man kann also davon ausgehen, dass der Bewegungsapparat eher zu kurz/stramm für die zukünftig gewünschte Arbeit ist.
Ganz sicher, kann man sich an dieser Stelle darüber streiten, ob nun die Henne oder das Ei an erster Stelle steht - und das machen wir hier ja auch in aller Ausführlichkeit
Es geht lediglich darum nocheinmal herauszustellen, warum ich die Reihenfolge erst Schubkraft - dann Tragkraft favorisiere.
Ich persönlich halte diese Reihenfolge bei jedem Trainig ein. Erst Aufwärmen, dann Tempo ohne große Anstrengung, dann Arbeit.
Ich weiß durchaus, dass es so einige gibt, die ihr Pferd von der Koppel ziehen, aufsteigen und *schwups* die Seitengänge reinschmeißen.
Ich persönlich halte das aus Trainingsphysiologischer Sicht für falsch, wenn auch manchmal verlockend
Und das sowohl beim Pferd, als auch beim Menschen.
Jen hat geschrieben:Nochmals für dich in Kurzform:
an der Hand:
über die Stellung die Biegung erreichen, damit das innere Hinterbein kontrolliert wird -> Vorschwung und Platzierung des inneren Hinterbeins kontrollieren -> damit den Schub kontrollieren: nie mehr Schub als im Verhältnis auch Vorschwung des Hinterbeins möglich, das heisst, Takt und Tempo so wählen, dass Schub nicht überwiegt (extra für sinsa: nicht überwiegt heisst nicht: nicht vorhanden, sondern im Verhältnis kleiner als.) dies nach und nach ausbauen, so dass Tempi (am Anfang nur ganz leicht, später mehr) variiert werden können, ohne dass dabei das Verhältnis von Vorschwung und Schub nach hinten ins negative verändert wird.
--> das v/a kommt dabei von alleine, das ist ein Nebenprodukt, weil das innere HB zu tragen anfängt und über die Biegung die äussere Oberlinie gedehnt wird, können sich die Rückenmuskeln frei bewegen (Bewegungsmuskeln!) und die Bauchunterlinie kommt vermehrt zum arbeiten (hängt mit dem inneren HB zusammen!). Erst wenn diese Form einigermassen gefestigt ist, verlange ich mehr Aktivität = Kraft IN DIESEN Bewegungsablauf. Das heisst, OHNE VERÄNDERUNG des Verhältnisses Vorschwung-Schieben, dabei federt die HH mehr durch.
--> um mehr in Richtung Versammlung zu arbeiten: Schub abkürzen (Timing der Hilfengebung!), ohne den Vorschwung zu verlieren (beachte: um etwas nicht zu verlieren, muss es erst vorhanden sein!)
--> um mehr in Richtung gestreckte Gangart zu arbeiten, Vorschwung fördern (Timing der Hilfengebung) und dabei immer im positiven Verhältnis bleibend mehr Schub zulassen (nicht mehr Schub verlangen. positives Verhältnis = nicht mehr Schub als Tragkraft vorhanden--> je mehr Tragkraft vorhanden, desto mehr Schubkraft kann man zulassen) (wiederum: Timing der Hilfengebung!).
Unter dem Reiter:
dann mehr od weniger das gleiche: Gewöhnung an das passive Reitergewicht, Aufbau der Hilfengebung aufgrund der Vorbereitung am Boden, üben des positiven Bewegungsablaufes. Genaueres kannst du ja in meinen Ausbildungstagebüchern lesen, wo 3 junge Pferde vom 1. Tag der Weide bis zum ersten Anreiten beschrieben werden.
Vielen Dank dafür
Ich nehme mal ganz stark an, dass auch Du vorher aufwärmst und nicht zum Kaltstart neigst.
Und schon sind wir uns einig - hoffe ich jedenfalls mal ganz stark
Und natürlich ist Dein Einwand berechtigt, wenn Du nun sagst, Du möchtest es ja grundsätzlich nicht anders machen, sondern nur am Ende die Gewichtung des Trainings mehr auf die Entwicklung der Tragkraft zu legen.
Meine Meinung dazu ist: Das kann man meiner Meinung nach machen
Solange man es nicht "übertreibt".
Ich aber würde es nicht tun.
Denn wenn ich mir die gesamte "Konstruktion" Pferd ansehe dann ist ein Pferd einfach für das Tragen nicht gemacht.
Auf der anderen Seite ist ein Pferd aber ein Wanderfresser und damit ist es dafür gemacht im weitesten Sinne des Wortes vorwärts zu kommen.
Aus diesem Grund komme ich zu dem Schluß, dass sich (zuviel) Schubkraft IM VERHÄLTNIS weniger dramatisch auf einen Pferdekörper auswirkt als (zuviel) Tragkraft.
Ein weiterer Grund dafür, warum ich mit der Tragkraft immer vorsichtiger umgehen werde, ist ein ziemlich theoretischer, nämlich der, dass ich stark vermute, dass man von einem Pferd, dass sehr viel kann, auch viel mehr verlangen würde.
Man würde sich niemals zurückhalten und würde alles reiten, was geht.
Passage, Trabverstärkungen, Galopp auf kleinen Bögen, Piaffen etc.
Wer könnte sich da zurückhalten?
Das sind aber alles Lektionen, die man nicht umsonst mit bedacht einsetzten und nicht um ihrer selbst willen reiten sollte.
Für die Leistung "Tragkraft" braucht es, meiner Meinung nach, eine lange Zeit, in der man Muskeln, Sehnen Bänder und Gelenke sehr langsam und schonend vorbereiten sollte, da das Pferd dafür nicht gemacht ist.