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Verfasst: Mo, 12. Jan 2009 21:04
von Gawan
Medusa888 schrieb:
Hier - sinngemäß - die Definition von Schwung von Udo Bürger, Vollendete Reitkunst:

Zwischen Eilen und Verhalten liegt der Schwung.

Er beschreibt auch wunderbar und anschaulich wie man zum Schwung gelangt. Habe das Buch leider nicht zur Hand, sonst würde ich gerne mehr dazu zitieren.
Ich habe heute Abend die Textstelle gesucht und vermute, du meinst einen Abschnitt im Kapitel "Gehen" (zum Schwung gibt es kein eigenes Kapitel). Ich erlaube mir, den Abschnitt zu zitieren (Auszeichnungen von mir):
Das Formen und Fördern des Gangs, d. h. Übungen in der Gehtechnik, gehören zur Grundschule ebenso wie zum täglichen Arbeitspensum der ausgebildeten Pferde. Gang entwickeln ist das gebräuchliche Wort dafür, und es ist wichtig, den Sinn dieses Wortes zu erfassen und in unserem Gefühl zu verankern. Entwickeln heisst allmählich auf- und ausbauen. Es nützt nichts, wenn man täglich grosse Tritte mit den gleichen Bewegungs- und Haltungsfehlern herausreitet, und das Pferd von einem Tempo in das andere stösst. Vielmehr ist es das Ziel der gymnastischen Ausbildung, dass es immer noch stilvoller, beschwingter, lautloser Gehen lernt und noch sicherer auf seinen Füssen wird, so dass es für alle tempo- und richtungsverändernden Impulse, die vom Reiter ausgehen, empfänglich wird und sie befolgen kann nach dem Motto: über den Gehsport zum Tanzschritt. Die Hankenbiegung und der schwingende Rücken sind die Grundlagen des geschulten Ganges. Der Reiter darf deshalb immer nur so viel an Grösse des Gangs fordern, als er aussitzen kann. Es kommt darauf an, die beiden natürlichen Kräfte, den Antrieb und das Tragen, so in Einklang zu bringen, dass aus ihnen die eine, dazwischen liegende, in sich ausbalancierte Kraft wird, nämlich der Schwung. Die Kunst, den Gang im Schwung zu formen, liegt in dem ewigen Abwägen zwischen Abschieben und Sichverhalten. Abschieben ist fehlerhafter Antrieb, Sichverhalten fehlerhaftes Tragen. Fehlerhaft insofern, als beides mit weniger Muskelanstrengung bei fast gestreckten Hinterbeinen möglich ist. Beides ist unkontrolliert und bringt das Pferd aus dem Gleichgewicht. Beim Abschieben bekommt es das Übergewicht nach vorn und wird eilig, beim Verhalten kommt es aus der Vorwärtsbewegung und bleibt im Antrieb stecken. Zwischen Eilen und Verhalten liegt das Sichtragen. Für dieses Abwägen ist das Reitergefühl für Balance entscheidend. Nur über den gebeugten und tragenden Hanken sitzt der Reiter tief, ruhig und kerzengerade in der Mitte. Das Pferd aber kann die Selbstkontrolle über seinen Antrieb und über das Tragen erst haben, wenn es seine Muskeln beherrscht und damit die Beugung der Gelenke. Diese hat es aber erst in seiner Gewalt, wenn es stark und gehorsam geworden ist. Und damit sind wir wieder an dem dornenvollen Weg, der im Aufbautraining zur Körperbeherrschung führt, angekommen.
Tanja Xezal

Verfasst: Di, 13. Jan 2009 08:46
von Meg
Sehr schöner Text! Überhaupt kamen in diesem als auch im Losgelassenheitsthread Antworten, die sich herrlich von normalerweise dahingebrabbeltem unterscheiden. Mit richtig Köpfchen dahinter. Das muss uns ein anderes Forum erstmal nachmachen - find ich!

LG
Meg

Verfasst: Do, 07. Mai 2009 22:01
von Josatianma
So, ich häng es jetzt mal hier ran:

Ich lese gerade von Stefan M. Radtke: Klassische Reitkunst im modernen Dressursport. Herr Radtke stellt die von der FN vorgegebene Ausbildungsskala ein wenig um. Unter anderem kommt bei ihm Geraderichten vor Schwung. Die Begründung liegt darin, dass erst ein gerade gerichtetes Pferd überhaupt Schwung entwickeln kann. Wie seht ihr das?

Verfasst: Do, 07. Mai 2009 22:24
von Filzi
Mit welcher Begründung meint Herr Radtke, dass erst gerade gerichtete Pferde wahrhaft Schwung entwickeln können?

Das würde mich von der Biomechanik her interessieren?

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 06:48
von ottilie
Ich könnte mir vorstellen, daß die "Qualität" des Schwungs bei einem gerade gerichteten (ausbalancierten?) Pferd eine andere ist als bei einem Pferd, was noch etwas schief läuft.
Daß nur ein gerade gerichtetes Pferd Schwung entwickeln kann, halte ich aber für falsch. Läuft denn dann jedes Jungpferd auf der Koppel ohne Schwung? Da ist man ganz schnell wieder bei den Grundsatzdiskussionen, wie Schwung definiert wird.

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 07:12
von Josatianma
Durch das Geraderichten soll es dem Pferd, wie bereits oben beschrieben wurde, möglich gemacht werden, seine beiden Hinterbeine gerade unter den gemeinsamen Schwerpunkt zu setzen. Dadurch wird es auch in der Lage sein, mit der Hinterhand vermehrt Last aufzunehmen und dadurch die Vorhand zu entlasten und sich im völligen Gleichgewicht zu bewegen. Auf diese Art ist die Hinterhand dann auch in der Lage, mehr Federkraft und Schub zu entwickeln und sich dann kräftig abzufedern, was die Schwebephase länger werden lässt.
(Radtke, Klassische Reitkunst im modernen Dressursport, S. 50/51

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 07:17
von Julia
Josatianma hat geschrieben:
Durch das Geraderichten soll es dem Pferd, wie bereits oben beschrieben wurde, möglich gemacht werden, seine beiden Hinterbeine gerade unter den gemeinsamen Schwerpunkt zu setzen. Dadurch wird es auch in der Lage sein, mit der Hinterhand vermehrt Last aufzunehmen und dadurch die Vorhand zu entlasten und sich im völligen Gleichgewicht zu bewegen. Auf diese Art ist die Hinterhand dann auch in der Lage, mehr Federkraft und Schub zu entwickeln und sich dann kräftig abzufedern, was die Schwebephase länger werden lässt.
(Radtke, Klassische Reitkunst im modernen Dressursport, S. 50/51
Sehr schön erklärt...habe ähnliches gedacht nur hat es daran gemangelt es auszudrücken....! ist einfach noch zu früh :oops:

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 07:18
von lalala
Josatianma hat geschrieben:
Durch das Geraderichten soll es dem Pferd, wie bereits oben beschrieben wurde, möglich gemacht werden, seine beiden Hinterbeine gerade unter den gemeinsamen Schwerpunkt zu setzen. Dadurch wird es auch in der Lage sein, mit der Hinterhand vermehrt Last aufzunehmen und dadurch die Vorhand zu entlasten und sich im völligen Gleichgewicht zu bewegen. Auf diese Art ist die Hinterhand dann auch in der Lage, mehr Federkraft und Schub zu entwickeln und sich dann kräftig abzufedern, was die Schwebephase länger werden lässt.
(Radtke, Klassische Reitkunst im modernen Dressursport, S. 50/51
Aber diese Aussage ist doch völlig richtlinienkonform. Siehe Richtlinien Band 2, S. 33/34

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 07:32
von Josatianma
@lalala: Trotzdem kommt der Schwung in der Ausbildungsskala der FN vor dem Geraderichten. Ja, ich weiss, dass die Punkte nicht alleine für sich stehen trotzdem gibt die Reihenfolge immer eine gewisse Richtung vor.

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 07:45
von lalala
Josatianma hat geschrieben:@lalala: Trotzdem kommt der Schwung in der Ausbildungsskala der FN vor dem Geraderichten. Ja, ich weiss, dass die Punkte nicht alleine für sich stehen trotzdem gibt die Reihenfolge immer eine gewisse Richtung vor.
Eben - man sieht sich die Punkte nicht allein an. Aus dem Zitat geht auch nicht hervor, dass Radtke die geraderichtende Arbeit vor den Schwung stellt. Es wäre sicherlich hilfreicher ganze Passagen einzustellen und nicht nur vereinzelte (aus dem Zusammenhang gerissene) Aussagen.

Die Qualität des Schwungs ändert sich natürlich mit der geraderichtenden Arbeit (siehe Richtlinien Band 2), der Grundstock wird jedoch in den korrekt gerittenen Übergängen zwischen und innerhalb der Gangarten gelegt (Schwungentwicklung).

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 08:00
von Josatianma
@lalala: Es wurde nach der Begründung gefragt, warum er Schwung nach dem Geraderichten stellt und diese Begründung habe ich eingestellt. Aus dem Zitat sollte das auch nicht hervorgehen, sondern dies schreibt er, wie oben erwähnt, ausdrücklich in seinem Buch. Es ist eine komplette Passage. Er schreibt vorher nur, dass er den Schwung vor das Geraderichten setzt und nachher, dass er seit einigen Jahren genau darüber mit der FN diskutiert. Die Aussage ist also nicht aus dem Zusammenhang gerissen.

Wie schon geschrieben, dass die Punkte der Ausbildungsskala sowohl bei der FN als auch bei Herrn Radtke ineinandergreifen und nicht alleinstehend gesehen werden können, ist klar. Trotzdem finde ich es einen interessanten Aspekt den Schwung hinter das Geraderichten zu setzen. Übergänge mit einem nicht geradegerichteten Pferd zu reiten verbessern den Schwung in keiner Weise, oder?

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 08:31
von lalala
Übergänge mit einem nicht geradegerichteten Pferd zu reiten verbessern den Schwung in keiner Weise, oder?
warum nicht ? Sicherlich erreicht man eine vermehrte Schwungentwicklung nur mit geraderichtender Arbeit (das sagen de bereits erwähnten Richtlinien ja auch so). Vor der vermehrten (!) Schwungentwicklung steht für mich aber erstmal der Grundstock.

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 08:35
von Jen
Ist für mich völlig logisch! Nur wenn die Kraft der HH möglichst gut durch den Körper nach vorne fliesst, kann das Pferd richtig Schwung entwickeln. Ist das Pferd noch schief, wird ein Teil dieser Kraft immer zur Seite heraus getragen (zb. über die Schulter). auch ich setze dem Geraderichten eine sehr grosse Priorität bei. Nicht zuletzt arbeite ich ja schon an der Longe mit dem rohen Pferd an der HH und Schulterkontrolle und versuche die Schulter auf die HH und die HH auf die Schulter auszurichten und das Pferd gebogen-geradegerichtet einzuspuren. Erst dann, wenn das Pferd diese Balance gefunden hat, fängt es richtig gut im Rücken an zu schwingen und lässt seinen Hals locker fallen.

Man muss aber auch sagen, dass je besser die Qualität des Pferdes ist, desto einfacher fliesst der natürliche Schwung von der HH durch den körper. Da fängt man einfach schon bei einer ganz anderen Ausgangslage an, als bei einem schwer(fälliger)en Pferdetyp, wo ganz deutlich wird, dass das Pferd erst bei einer gewissen Balance überhaupt zu sowas wie Schwungentwicklung fähig ist. Trotzdem zeigt für mich gerade die Arbeit mit diesen schwereren Pferden den Vorteil des Geraderichtens vor der vermehrten Schwungentwicklung. Würde man von diesen meist stark vorderlastigen Pferden nämlich zu früh mehr verlangen, würde die ganze Energie in den Boden gehen und das pferd "stampft" noch mehr, was gesundheitliche Probleme zur Folge haben kann. Ich habe es nun schon in mehreren Fällen erlebt, wo vermeintlich extrem träge Pferde plötzlich Freude an der Bewegung bekommen haben, als sie die Balance besser gefunden haben und (noch nicht perfekt, aber immerhin viel besser) geradegerichtet wurden und viel leichter und einfacher und freudiger mitgearbeitet haben. Und umgekehrt, extrem hypersensible, überreaktive Pferde vermehrt Ruhe gefunden haben und der Reiter/Longierführerin plötzlich "zum Treiben" gekommen ist, weil das Pferd "seine mitte" gefunden hat.

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 12:31
von horsman
mal ein paar Frage zum nachdenken:

beinhaltet versammelter Trab mehr oder weniger an Schwung als "Arbeitstrab" und warum wenn?

Hat Schwung überhaupt etwas mit Schwebephase zu tun?

Ist es nicht vor allem auch die Definiton des "Schwungs" die derzeit die "Klassiker" von den "FN-lern" trennen?

Verfasst: Fr, 08. Mai 2009 13:01
von Josatianma
@lalala: Jen hat sehr schön drauf geantwortet.