"klassisches" denken und werte

Rund um die klassische Reitkunst

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gimlinchen
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"klassisches" denken und werte

Beitrag von gimlinchen »

ich übernehme dies mal aus dem anderen thread: (quo vadis reiterei)

mehr interessiert mich, was ihr aus den alten oder gar nicht so alten meisten rausnehmt, wie ihr drüber denkt, welche werte ihr erwägt... was sie bei euch bewegen, was ihr damit erlebt, worüber ihr nachdenkt.

ich mach mal ein beispiel: ein gar nicht alter aber dennoch klassisch denkender horseman ist für mich mark rashid. der hat viele kluge ansätze - einer davon ist der wert des lernen düfens und des lehrers. mark zieht auch inspiration aus den asiatischen martial arts (aikido, genauer gesagt) und berichtet beispielsweise so plastische dinge wie dass er stets die reithalle / den platz mit dem selben bein voraus betritt. das hat den historischen hintergrund, dass dieses das bein ist, welches keine waffe trägt und so demut und respekt dem lernen und auch dem vierbeinigen lehrer gezollt wird. in gewisser weise passt das nicht zu mir, weil ich mit dieser kriegerischen tradition nichts zu tun habe. allerdings findeich die idee richtig, das lernen entsprechend zu würdigen.
und ich mag nun, da ich ein gewisses allter erreicht habe, die idee des lehrers - natürlich einerseits das pferd als leher, aber eben auch menschliche (angenehm doppeldeutig) lehrer. damit sind eben leute gemeint, deren wort man ernstnimmt. gute lehrer fordern dabei grade nicht, dass ich alles mache und billige, was sie sagen.

(Bsp.: ich erzähle desmond, dass ich derzeit damit hadere, dass mein RL dinge anders sagt als desmond. antwort: frag, warum er das anders sagt und bild dir eine meinung. ich muss nicht recht haben. )

ichmöchte grade gerne herausfinden, was solche leute ausmacht, u.a. weil das ein bisschen auch mit meinem job zu tun hat.

mark rashid sagt, dass man beim reiten nur besser werden kann durch "ride all the time", also wenn ich softness lernen will, dann ist das nicht nur 45min am tag der fall, sondern immer, beim einkaufen, beim arbeiten, im zug und und und... immer halt.

naja, sowas in der art würde ich gerne von euch wissen
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lancia
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Beitrag von lancia »

Ich find das Thema schwer in Worte zu fassen.

Die Idee von Mark Rashid finde ich interessant. Durch meine paar Jahre Alexander-Technik habe ich ähnliches erfahren. Man fängt im Ansatz an, ähnlich zu denken. Man lebt bewusster, ohne dabei in Mystik und Esoterik zu verfallen.
Das was ich von den Pferden lerne, das lasse ich auch nie im Stall zurück. Eigentlich denke ich den ganzen Tag über das nach, was ich bei den Pferden oder eben bei guten Lehrern oder in guten Büchern lerne. Es gibt zig nicht-pferdige Alltagssituationen die einen Bezug auf diese Lehren haben.

Oder andersrum ausgedrückt, die klassische Denkweise hilft mir beim sozialen Leben.
Es sind vor allem einzelne Sätze, die jemand gesagt hat oder Situationen mit Tieren, die mir auch lange Zeit danach einfallen und die mir zeigen, warum ich eben den klassischen Lehren folge.

Oh Gott, ich glaub der Text war jetzt eindeutig zweideutig. Aber mir fehlen im wahrsten Sinne des Wortes die Worte :?
"...aber dem edlen Pferd, das du reiten willst, mußt du seine Gedanken ablernen, du darfst nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen." Goethe
gimlinchen
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Beitrag von gimlinchen »

ich finde ihn sehr klar.

und genau das meine ich und genau dazu finde ich beispiele oder erzähltes eben interessant.

nach unserem letzten kurs sagte eine mitreiterin: nun denke ich die ganze zeit über das nach, was ich beim kurs gelernt hab. und das wenigste hat mit dem reiten zu tun"
bringts auch nett auf den punkt
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lancia
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Beitrag von lancia »

Das Zitat von der Mitreiterin ist toll! Genau, dass ist das was ich von Desmond auch immer mitnehme!

Manchmal denke ich, die Reiterei gibt dir als Mensch einen Vorteil gegenüber "normaler" Menschen. Sie haben nicht das Glück, dies alles vom Pferd gelehrt zu kriegen.

Dazu noch passend ein Zitat aus Paul Belasik "Dressur im 21. Jahrhundert" , das ich gestern gelesen habe, und was zu den Sätzen gehört die mich beschäftigen:
Wenn Sie einem guten Pferd begegnen dann ist das Pferd nichts Geringeres als ein großer Zen-Meister. Seine Lehre lautet: Seien Sie weniger ichbezogen, mehr im Gleichgewicht, zufriedener, ohne immer urteilen zu müssen und übernehmen sie die Verantwortung für Ihre Handlungen.
"...aber dem edlen Pferd, das du reiten willst, mußt du seine Gedanken ablernen, du darfst nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen." Goethe
gimlinchen
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Beitrag von gimlinchen »

schöööön. und das erinnert mich an das, was mark rashid über sein "once in a lifetime-horse" buck, und was dieser rashid lehrte, schreibt.

(ich such da die tage mal zitate raus :-) )

natürlich haben wir glück, dass wir mit pferden zu tun haben dürfen... die bringen einem unendlich viel bei.
ichhab eine bekannte, deren kleine tochter (3 oder so) therapeutisches reiten macht (fachbegriff hab ich vergesssen), der mutter hab ich ein rashid buch geschenkt und sie schrieb mir einen völlig bewegten dankesbrief mit dem hinweis, dass sie keien ahnung gehabt hätte, wie pferde sind und wie wunderbar es ist, mit ihnen zu tun zu haben.
das hats mir mal wieder klargemacht, wieviel glück wir mit diesem "therapieresistenten virus" (Isenbarth) haben..... :-)
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Abeja
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Beitrag von Abeja »

Ich hab mal vor vielen Jahren, als ich noch gar nicht selbst geritten bin, in der IWZ (Illustrierte Wochenzeitung) einen Bericht über das Verschwinden unseres alltäglichen Wissens über das Pferd gelesen, da wurde über einen Bauern berichtet, der noch mit Pferden arbeitet, und der wohl ein ganz einfacher, geradliniger Mensch war. Der Redakteur schrieb dazu sinngemäß: "wo findet man heute noch Menschen, die durch ihre Geradlinigkeit und Wahrhaftigkeit in der Lage sind, von Natur aus einem Pferd zu imponieren, ohne darüber Bücher gelesen zu haben?" Das hat mich sehr beeindruckt, ich glaube, daß das Reiten und das Sein mit dem Pferd uns lehren kann, insgesamt als Menschen authentischer und wahrhaftiger zu werden.

Immer wieder stelle ich fest, wieviel Bewußtheit nötig ist, wie sehr ich oft in Gedanken mit was anderem beschäftigt bin, wenn ich beim Pferd bin; und wie sehr ich mir das immer wieder bewußtmachen muß; das versuche ich sehr, in den Alltag zu nehmen.

Zum Respekt vor dem Pferd: Viele "Kleinigkeiten" hab ich mir bewußt angewöhnt, z.B. ist, wenn ich ihn von der Koppel hole, erstmal daran zu denken, daß ich nun seine Welt betrete, und daß ich erstmal höflich bin: also, ihn nicht gleich direkt anzuschauen, etwas von der Seite zu kommen, und ihn erst zu berühren, wenn er zu mir kommt, oder zumindest seinen Kopf mir freundlich zuwendet. Und dann streichele ich ihn immer zuerst an der Schulter und nicht gleicht im Gesicht; überhaupt bin mit Berühren im Gesicht aus Rücksicht zu ihm recht zurückhaltend.

Die Ideen der Klassischen Reitkunst sind faszinierend, weil zum Wohl des Pferdes und wirklich eine Kunst. Aber ich als Späteinsteiger mit meinem Wald-Wiesen-Zottel, kann davon nur träumen, oder sowas als inneres Bild vom Reiten dabeihaben, wie es in höchster Vollendung sein sollte. Davon werd ich immer Lichtjahre entfernt bleiben. Trotzdem glaub ich, daß solche inneren Bilder immens wichtig sind, und unser Handeln letztendlich bestimmen, und daß letztendlich auch immer was davon beim Pferd "ankommt". LG Abeja
gimlinchen
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Beitrag von gimlinchen »

v.a. den letzten satz finde ich wunderbar. danke
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

Ich finde es sehr schön, wenn man den schon genannten Reitertakt verinnerlichen kann - Respekt gegenüber dem Pferd, Respekt gegenüber den Mitmenschen. Dazu kommt noch, Positives zu sehen und neue Möglichkeiten anzunehmen, anstatt auf Erwartetes zu beharren. Das Leben jetzt zu geniessen und den Augenblick zu schätzen - nicht nur Reitkunst, sondern auch Lebenskunst.
Tja. Soweit in grossen Worten die Theorie.
In der Praxis tue ich mir dann schwer, wenn ich ins reale Leben eintrete und auf jemanden treffe, der die "Geiz-ist-geil"-Mentalität inne hat (um jetzt mal ein Beispiel als Schlagwort zu nutzen, da gibts sicherlich vielfältige Beispiele bzw. Beschreibungen für). Da steht man doch dann als respektvoller, rücksicht nehmender Mensch ziemlich schnell im Hintertreffen, oder geht das nur mir so? Leider konnte ich auch bis dato nicht die Erfahrung machen, daß sich das Umfeld entsprechend ändern würde, wenn man selber der Umwelt anders begegnet. Jedem das seine und mir das meiste, und wer verzichtet, verliert... Leider nicht mehr nur im Geschäftsleben, sondern auch im privaten Bereich.
Also wird es immer eine Gratwanderung sein zwischen dem Idealbild, was man von sich selber hat, und der reellen Welt, wo man sich auch mal durchzusetzen hat, wenn man nicht ausgesaugt werden will - und das geht manchmal nicht einfach nur durch Konsequenz.
Versteht Ihr, was ich meine?
Es grüsst ottilie
~~~~~~~~~
Wo die Kraft anfängt, hört das Gefühl auf (Moshe Feldenkrais)
Caleb
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Beitrag von Caleb »

@abeja
Finde deinen Beitrag sehr schön, hat mich berührt. Der Satz, dass du dir bewusst machst, dass DU in die Welt des Pferdes eintrittst und dies respektvoll tust empfinde ich sehr schön. Auch wenn du als Späteinsteigerin evtl. nicht mehr die hohen Weihen der großen Meister erreichen wirst (Interpretation deiner Aussage) glaube ich dennoch, dass man mit dieser Grundeinstellung zu Harmonie und Leichtigkeit gelangen kann und ein Pferd haben kann, welches zufrieden ist im Umgang mit dem jeweiligen Menschen.
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