Hinterhandaktivität nach Steinbrecht

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Petite
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Hinterhandaktivität nach Steinbrecht

Beitrag von Petite »

Als ich mir den Steinbrecht das erste Mal zu Gemüte geführt habe, musste ich über eine Stelle besonders lange nachdenken. Durch Zufall bin ich gerade eben wieder drüber gestolpert.

Zu finden ist sie im Kapitel Vom Gleichgewichte und den Abweichungen von denselben zu Beginn des 5. Absatzes bzw. für alle, die gerade nichts zum nachschlagen haben auch hier: http://tinypic.com/view.php?pic=34ovce9&s=7

(Vorausgesetz ich habe den Text richtig verstanden, steht da im Bezug auf das "normal" gebaute Pferde:) Wenn ein Pferd mit den Hinterhufen nach den Abdrücken der Vorderhufe aufkommend tritt, so geht es vorhandlastig, fußt es hinein, ist es im Gleichgewichte und wenn es mit den Hinterhufen die Abdrücke der VH nicht erreicht, so hat es auf der Hinterhand mehr Last aufgenommen.

Kann das denn sein? Ist dieser Abschnitt so zu verstehen? Oder habe ich irgendetwas übersehen, was dem ganzen eine völlig andere Bedeutung verleihen würde?

Es würde mich sehr freuen, eure Meinung zu diesem Thema zu hören!
LG, Petite
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*Krisi*
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Beitrag von *Krisi* »

Nunja - ich nehme mal an, daß er mit den "normal gebauten" Pferden diejenigen seiner Zeit gemeint hat. Diese standen ja nicht so im Rechtecktyp wie die heutigen guten Zuchtprodukte und hatten sicherlich auch andere Gangqualitäten. Ob das gesagte auch auf die heutigen Gangwunder zutrifft würde mich sehr wundern.



Tante Edith: Rechtschreibfehler
Petite
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Beitrag von Petite »

Das hat er bestimmt (auf die Pferde seiner Zeit bezogen). Doch einmal abgesehen davon, dass der Inhalt dieser paar Zeilen im kompletten Gegensatz dazu steht, was ich bis jetzt immer geglaubt habe zu wissen, wollte ich diesen Ausschnitt eigentlich nur als Eingangspost für einen Thread verwenden, in dem ich hoffe auf einige meiner offenen Fragen zum Thema Hinterhandaktivität Antwort zu finden (oder zumindest andere Sichtweisen kennen zu lernen bzw. unterschiedliche Meinungen zu hören).

So wirkt es auf mich z.B. so, wenn man heutzutage zu deutschen Zuchtveranstaltungen schaut, dass die Pferde gar nicht weit genug untertreten können & ihnen eine herausragende Hinterhandaktivität zugeschrieben wird, wenn sie dieses Bewegungspotential auch unter dem Reiter beibehalten.

Erspart ein solches, von Natur aus bestens veranlagtes Pferd dem Reiter nun jegliche Arbeit, die Hinterhand zu aktivieren? Wird hier die Vorhand von Haus aus weniger belastet? Oder ist das Maß an Lastaufnahme abhängig von der Anstrengung? Ist es einem kurzbeinigem Pferd mit langem Rücken mehr anzurechnen, wenn es in die Spur der Vorderhufe fußt oder einem anders gebauten wenn es plötzlich einen halben Meter übertritt, statt wie zu Anfang der Ausbildung nur 3 Huflängen? Oft sehe ich auch Pferde, die beide ähnlich gebaut sind, beide gleich weit untertreten, der eine dabei aber in einem bald kreisrunden Bogen das Hinterbein Richtung Bauchmuskeln zieht, der andere seine Beine jedoch recht knapp über den Boden führt. Wo ist hier der Unterschied? Hat die erste Vorgehensweise gegenüber der des zweiten Pferdes einen Vorteil, ist es der natürlichere Bewegungsablauf (in runderem, kurzem Bogen statt oval & länglich), oder ist sie unnötig und lediglich kraftraubend?*

LG, Petite

*Sollten die von mir gestellten Fragen- denn es sind noch bei weitem nicht alle- für die meisten von euch bereits beantwortet und klar sein, würde ich mich natürlich auch sehr über entsprechende Lektüre-Empfehlungen freuen.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Man kann unterschiedliche Pferde nur sehr schwierig miteinander vergleichen, vor allem, wenn der natürliche Bewegungsablauf so unterschiedlich ist wie in Deinem Beispiel.

Ich verstehe Deine Frage zu den gut veranlagten Pferden nicht ... auch die muss man reiten, und je nachdem, wie aktiv die Hinterhand ist, entstehen daraus auch wieder neue Schwierigkeiten.

Viele Pferde, die ein unglaubliches Vorwärts haben, sind nicht ganz einfach zu versammeln und zu setzen, denn ihre Schubkraft ist erheblich besser ausgebildet als die Tragkraft. Man kann ein 4jähriges Auktionspferd zwar zu Verstärkungen bringen, bei denen das sensationslustige Publikum applaudiert, reell ist das aber in den meisten Fällen nicht. Eine richtig gute Verstärkung entsteht erst dann, wenn das Pferd fähig ist, sich von hinten zu tragen.

Das, was meiner Meinung nach in der Ausbildung anzustreben ist, ist das beste aus den bestehenden (körperlichen und geistigen) Möglichkeiten "herauszuholen". Und zwar so, dass das Pferd Freude an der Arbeit und der Bewegung hat. Man kann zwar durch verschiedenste Mittel ein vermeintliches Mehr herauskitzeln, dies wird aber in solchen Fällen stets in verspannten Showtritten enden, weil es nicht mehr dem natürlichen Bewegungsablauf entspricht. Langfristig wird dadurch die falsche Muskulatur aufgebaut und es entstehen Verspannungen - dadurch verdient eine gesamte Futtermittelindustrie, Tierärzte, Physios etc.

Es gibt sicherlich einige generelle grobe Maßstäbe, die eingehalten werden sollten, stets aber unter Berücksichtigung der individuellen Möglichkeiten des Pferdes.
Viele Grüße
Sabine
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Petite
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Beitrag von Petite »

Max1404 hat geschrieben:Ich verstehe Deine Frage zu den gut veranlagten Pferden nicht ...
Wahrscheinlich weil hier ein Denkfehler von mir vorliegt, ich versuch's nochmal:

Natürlich muss jedes Pferd, egal wie gut es veranlagt ist, geritten und ausgebildet werden & ebenso ist es klar, dass sie nicht GP-fertig aus der Mutterstute rauskommen, doch ein großes Ziel der Dressur ist es doch, die Vorhand zu entlasten und die Hinterhand zu mehr Lastaufnahme zu animieren.

Wenn ich also ein hervorragend veranlagtes Pferd habe, welches stets gut untertritt, so sollte ich doch davon ausgehen können, dass ich nicht die natürlichen 70% Gewicht auf den Vorderbeinen, sondern ein Pferd mit aktivem Hinterbein und somit bereits ganz guter "Lastaufnahme" habe.

Was bringe ich hier durcheinander? Wo ist mein Fehler? Denn auch wenn ich mir dessen bewusst bin, dass Paragraph 2 "meiner Theorie"/ meines Gedankenganges nicht stimmen kann, finde ich keine logische Erklärung um ihn zu widerlegen.
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Bino
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Beitrag von Bino »

Ich glaube, der Denkfehler besteht darin, dass weites Untertreten nicht gleichbedeutend mit mehr Lastaufnahme ist.
Je weiter das Pferd untertritt, desto mehr kann es sich nach vorne "katapultieren", bleibt aber unter Umständen trotzdem auf der Vorhand (Schubkraft).
Bei vermehrter Lastaufnahme hingegen beugen sich die Gelenke der hinteren Gliedmaßen vermehrt (Tragkraft/Versammluing) und dann kann das Pferd die Hinterbeine auch nicht mehr so weit vorschwingen. Ich hoffe, ich habe das jetzt richtig erklärt.
Der Tanz ist der Käfig, in dem man fliegen lernt. (Claude Nougaro)
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

…wenn es mit den Hinterhufen die Abdrücke der VH nicht erreicht, so hat es auf der Hinterhand mehr Last aufgenommen.

Das stimmt auch, wie Bino auch schon ganz richtig geschrieben hat. Wenn man sich nämlich mal das untertreten im Trab anschaut, gibt es da folgende Faustregel aus meiner grauen Vorzeit :lol:
im Arbeitstrab tritt der HF in die Spur des VF, im Mitteltrab eine Huflänge darüber, im starken Trab zwei bis drei und im versammelten Trab, wo die Lastaufnahme am stärksten ist, gar nicht. Dort fußt der HF ca. eine Huflänge hinter dem VF auf.
Lou mit Lucy
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Beitrag von Lou mit Lucy »

...man schaue sich als Extrem nur eine Piaffe an.
Dass die Hinterbeine in der Versammlung weiter untertreten, stimmt nicht, das ist auch eines der Ergebnisse der Biomechanikforscherleute. Das weite Vorschwingen (dabei aber nicht unbedingt der Übertritt) ist natürlich trotzdem erstrebenswert, weil es für ein aktives Hinterbein spricht. Das ist aber eher die Stufe davor.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Danke an Bino, genau das hätte ich auch geschrieben :wink:

Man spricht zwar immer vom guten Untertreten, und ein Pferd, das von hinten richtig schiebt, tritt zwangsläufig auch gut unter. Es kann aber dabei trotzdem total auf die Vorhand schieben.
Ein Pferd, das eine gute Verstärkung zeigt, fühlt sich an wie ein startendes Flugzeug, weil es hinten richtig runter kommt und vorne sehr erhaben wird. Im umgekehrten Fall hat man das Gefühl, als würde man bergab reiten.
Die Trab-Verstärkungen von Rembrandt finde ich fantastisch: http://www.youtube.com/watch?v=MIDL1fGjRQA
Viele Grüße
Sabine
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Paula

Beitrag von Paula »

aus dem Aufgabenheft gem LPO steht bei Anforderungen an das Reiten in Dressurprüfungen folgendes über dem Mitteltrab:"....die Hinterhufe treten über die Spur der Vorderhufe.Die korrekte Haltung bleibt bei erkennbarer Rahmenerweiterung erhalten."
Starker Trab: ".... Die Hinterhufe des Pferdes fußen deutlich über die Spur der Vorderhufe."
Versammelter Trab :Im versammelten Trab treten die Hinterbeine bei stärker gebeugten Hanken vermehrt unter den Schwerpunkt des Pferdes.......Die Tritte werden erhabener und kadenzierter.Die Hinterhufe fußen höchstens bis in die Spur der Vorderhufe."
Arbeitstrab"Er soll takmäßig und schwungvoll sein.Die Hinterhufe fußen in etwa in die Spuren der Vorderhufe."

Anmerkung von mir, es hängt auch vom Gebäude des Pferdes ab, wie weit es untertreten kann bzw muss.Deswegen schrieb "Steinbrecht" ja bei einem normal gebauten Pferd.

Bei einem deutlich überbauten Pferd zum Beispiel ist der Arbeitstrab oftmals erst erreicht wenn es etwas über die Spur der Vorderhufe tritt.
Der versammelte Trab ist dann auch wirklich bis zur Spur der Vorderhufe,während im Mitteltrab deutlich übergetreten werden kann.
Auch bei sehr langbeinigen Pferden mit kurzen Rücken wird im Mitteltrab und starken Trab ein sehr deutliches Übertreten möglich sein.


Ansonsten finde ich den eingestellten Satz verwirrend, was nicht wundert, denn das Buch gilt als sehr schwierig zu lesen, eben genau darum, man kann oft über jeden Satz sehr lange nachdenken.
Und ihn leider nicht mehr fragen*gg*
Die meisten Ausbilder die ich kenne ,geben offen zu dass sie den Steinbrecht nur überflogen haben, aber alle schwören auf ihn, ohne ihn je wirklich studiert zu haben,tsss.
Ich versteh den Satz so: wenn das Pferd zeitverzögert und kürzer fußt (also nicht bis zur Spur des Vorderfußes) im Trab dass es dann auf der Vorhand geht, also nicht gleichzeitig das diagonale Beinpaar bewegt: gibt ja die schöne Einbeinstütze im Trab...
wenn es in die Spur tritt bei gleichzeitiger Bewegung des Vorderbeines und Hinterbeins ist es im Gleichgewicht(ein normal gebautes Pferd).
Fußt ein Pferd dann kürzer, dann nimmt es last auf.
Wenn also der Arbeitstrab richtig war, der Takt erhalten bleibt, beim Versammeln, das Pferd nun spürbar oder sichtbar kürzer tritt, dann hat es hinten Last aufgenommen.
So verstehe ich den Satz...
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

Wollte nur noch eines ergänzen zu Ursache und Wirkung:
Nicht jedes Pferd, bei dem die Hinterhand nicht die Spuren der Vorderhufe erreicht, ist automatisch versammelt, es kann auch einfach nur hinten kurz treten, ganz ohne Versammlung.
WENN ein Pferd aber versammelt läuft, DANN erreichen die Hinterhufe maximal die Spuren der Vorderbeine.
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Jolly
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Beitrag von Jolly »

Petite hat geschrieben:So wirkt es auf mich z.B. so, wenn man heutzutage zu deutschen Zuchtveranstaltungen schaut, dass die Pferde gar nicht weit genug untertreten können & ihnen eine herausragende Hinterhandaktivität zugeschrieben wird, wenn sie dieses Bewegungspotential auch unter dem Reiter beibehalten.

Erspart ein solches, von Natur aus bestens veranlagtes Pferd dem Reiter nun jegliche Arbeit, die Hinterhand zu aktivieren?
Ich habe ein Exemplar, das im Schritt ca. 4-5 Hufabdrücke überfusst. Der ist trotzdem (leider) absolut auf der Vorhand. Bei ihm scheint es so zu sein, dass die Muskulatur diese Übersetzung der Hinterhand einfach nicht halten kann.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Genau so ist es. Und um dem Pferd die Möglichkeit zu geben, seine Hinterhandaktivität voll zu entfalten, darf man nicht übermäßig vorwärts reiten (das bringt es nur noch mehr auf die Vorhand und lässt es in sich steif werden), sondern muss im Gegenteil das "Tempo" etwas zurückschrauben, damit die Hinterhand lernt, Last aufzunehmen. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

…das Untertreten ist ja auch erst mal nichts anderes als ein Zeichen von viel Schub. Und der bringt nun mal Pferde (vor allem junge) auf die Vorhand. Was sich aber gibt, wenn die Schub- von der Tragkraft ergänzt wird…
Paula

Beitrag von Paula »

Jolly hat geschrieben:
Petite hat geschrieben:So wirkt es auf mich z.B. so, wenn man heutzutage zu deutschen Zuchtveranstaltungen schaut, dass die Pferde gar nicht weit genug untertreten können & ihnen eine herausragende Hinterhandaktivität zugeschrieben wird, wenn sie dieses Bewegungspotential auch unter dem Reiter beibehalten.

Erspart ein solches, von Natur aus bestens veranlagtes Pferd dem Reiter nun jegliche Arbeit, die Hinterhand zu aktivieren?
Ich habe ein Exemplar, das im Schritt ca. 4-5 Hufabdrücke überfusst. Der ist trotzdem (leider) absolut auf der Vorhand. Bei ihm scheint es so zu sein, dass die Muskulatur diese Übersetzung der Hinterhand einfach nicht halten kann.
wie spürst du oder woran siehst du, dass er trotzdem auf der Vorhand ist?
Und hast du es schon mal gefilmt?
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