Huch, die armen Turnierreiter sind Opfer einer Hexenjagd ...
Ich habe mir besonders den letzten Abschnitt des Editorials auf der Zunge zergehen lassen.
Seien wir doch mal ehrlich: Mit Streicheln und Zückerchen allein wird kein Pferd zum Turnierkracher. Das gilt für die L-Dressur genauso wie für den Grand Prix oder das S-Springen.
Das Gegenstück zum Zuckerbrot ist bekanntlich die Peitsche, soll ich das so verstehen, dass ich ohne Dreinschlagen keinen Turnierkracher produzieren kann? Oder versteh' ich da etwas falsch?
Wer jetzt mit dem Finger auf die erfolgreichen internationalen Dressurreiter zeigt, sollte sein eigenes Handeln im Sattel mal selbstkritisch hinterfragen.
Hier kommt wieder das altbekannte Killerargument "Wenn du's nicht besser kannst, halt die Schnauze", das hier aber zu kurz greift:
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass ein grosser Teil der Zuschauer bei Dressurturnieren (auf den Tribünen und vor dem Fernseher sowieso) selbst kaum oder gar nicht reitet, genauso wie die wenigsten Zuhörer einer Sinfonie im Konzertsaal oder ab CD selbst ein Instrument spielen. So wie ein auch nur einigermassen erfahrener Zuhörer unterscheiden kann, ob z.B. ein Violinist etwas taugt oder nur auf der Geige rumkratzt, so muss auch ein Zuschauer am Abreiteplatz nicht unbedingt eine Passage von einem Mitteltrab unterscheiden können, um eine Idee davon zu haben, ob sich Pferd und Reiter in zentaurischer Harmonie bewegen, oder ob sich der Reiter das Pferd unterworfen hat.
Ich finde es immer wieder interessant, solche Aufnahmen Laien zu zeigen, da diese manchmal etwas anderes sehen, als betriebsblinde Sportfunktionäre (da gab's doch mal eine Geschichte von einem Kaiser und seinen neuen Kleidern ...); einige Kommentare von Nichtreitern zu solchen Szenen: "Diese Pferde haben ja gar keine Stolz mehr." "Total steif, verkrampft." "Ist das Sadomaso für Pferde?"
So sieht es auch FN-Sportchef Fritz Otto-Erley: "Ich würde diese Ankläger, diese selbsternannten Experten, liebend gerne mal beim Reiten beobachten. Manchen könnte man sicherlich den Spiegel vorhalten, was sie ihren Pferden antun."
Als FN-Sportchef muss er ja fast, er gehört schliesslich zum selben Club. Und natürlich kommt er auch mit dem Killerargument, merkt aber offensichtlich nicht, dass er damit manchen Reiter, der sich ehrlich Mühe gibt, vergrault.
Mein Problem ist nämlich, wenn ich jetzt einen Experten suche, an welchen soll ich mich da wenden? Für die FN ist also das, was auf dem Video zu sehen ist, in Ordnung. Mir gefällt es aber überhaupt nicht, und es ist nicht das, was ich für mein Pferd will. Das bedeutet, das die Angabe "FN" für mich zwiespältig ist, denn sie kann einerseits bedeuten, dass jemand eine seriöse Grundausbildung hat, andererseits aber auch, besonders wenn derjenige "Turnierkracher" ausbildet, dass ich ihm nie mein Pferd anvertrauen würde (mal abgesehen davon, dass mein Pferdl in bestimmten Kreisen wohl kaum als richtiges Reittier betrachtet würde). Also muss ich mir die Experten woanders suchen, und lande damit wohl oder übel bei den selbsternannten bzw. wurschtle halt selbst weiter und werde damit schliesslich auch zu einem "selbsternannten Experten".
Tanja Xezal